ETCS in der Praxis 

Wie funktioniert ETCS nun in der Praxis? Schauen wir uns das einfach mal an einem Beispiel an und fahren im Geiste die VDE 8.2 von Halle nach Erfurt. Die nachfolgend genannten Telefonnummern und Balisennummern sind bewusst verfälscht.

In Halle steht unser Zug am Bahnsteig, noch signalgeführt unter PZB, jedoch mit betriebsfähiger ETCS-Fahrzeugeinrichtung. Irgendwann geht das Signal vor ihm auf Fahrt (welcher Begriff genau, Ks 1 oder Ks 2 ist für unseren Zweck egal) und der Lokführer fährt los. Zunächst sind wir noch auf der Thüringer Bahn, Strecke 6340.

Noch im Weichenbereich passiert der Zug die erste Balisengruppe. Da die Balisenantenne bereits arbeitet, empfängt das Fahrzeuggerät folgende Nachricht:

Hier ist Balisengruppe 075/00001 mit den National Values für die Region 75. Fährst Du in Nominalrichtung, dann melde Dich beim Funkbetreiber 000001 .

Das Fahrzeug meldet sich nun beim Netzbetreiber an, so wie unser Handy es tut, wenn wir es einschalten und den SIM-Code eingeben. Das kann bei GSM-R ein Weilchen länger dauern, aber unser Zug fährt ja derzeit nur 40 km/h.

Etwa einen Kilometer weiter, hinter W209, liest der Zug dann die Balisengruppe 075/00002.

Hier ist Balisengruppe 075/00002. Fährst Du in Nominalrichtung, dann rufe das RBC 075/00001 unter der Nummer 0049183500000001 .

Der Zug wählt also die 0049183500000001 und erreicht das RBC Halle, das für den kurzen Streckenabschnitt nach Halle zuständig ist. Etwa in diesem Bereich ändert sich die zulässige Geschwindigkeit auf 130 km/h.

Hier ist Fahrzeug 1187064, ich möchte eine Kommunikationssitzung aufbauen. .
Hier ist RBC 075/00001, ich arbeite in Systemversion 1.1. .
Hier ist Fahrzeug 1187064, danke, Kommunikationssitzung ist aufgebaut. .

Fahrzeug und RBC "sprechen" nun also miteinander. Was nun kommt, ist die gegenseitige Vorstellung:

Hier ist Fahrzeug 1187064, ich habe folgende Daten: mit .

Wie fast alle Messages vom Fahrzeug enthält auch diese einen Position Report. Dieser hat eine wichtige Funktion, dazu kommen wir etwas weiter unten.

Hier ist Fahrzeug 1187064, ich bin 400 m -20 m/+22 m hinter Balisengruppe 075/00002. Ich bin in Nominalrichtung orientiert, fahre mit 40 km/h in Nominalrichtung und befinde mich in Level NTC mit dem NTC "PZB/LZB Classic and LZB CE". .
Hier ist RBC 075/00001, danke, Zugdaten korrekt empfangen. .

Auch das RBC hat bestimmte Daten, die es an den Zug überträgt:

Hier ist RBC 075/00001, ich habe hier eine allgemeine Nachricht . In meinem Bereich gelten folgende Parameter zum Anfordern einer Movement Authority : In meinem Bereich gelten folgende Parameter zum Senden von Position Reports :

Kommen wir nun noch einmal zum Position Report. Wenn wir uns den Lageplan von Halle ansehen, stellen wir fest, dass es hinter W209 (wo auch unsere Balisengruppe 075/00002 liegt) bis zum Signal 9311 keine Weiche gibt. Das Fahrzeug 1187064 fährt also direkt auf dieses Signal zu. Damit sind nun alle Voraussetzungen gegeben, um den Zug nach Level 2 aufzunehmen, vorausgesetzt, das Signal steht in Fahrt. Das RBC prüft nun, wie es hinter 9311 mit Fahrstraßen aussieht und berechnet aus Signalbegriffen, Weichenlagen und den projektierten Streckendaten eine Movement Authority für unser Fahrzeug. Selbstverständlich gehen bei Bedarf auch bediente Streckeneigenschaften wie Langsamfahrstellen in diese ein.

Hier ist RBC 075/00001, ich habe eine Movement Authority für Dich, die auf Balisengruppe 075/00002 bezogen ist .

An dieser Stelle wird die Movement Authority nie eine größere Länge haben (allerdings kann sich der Bezugspunkt auf eine andere Balisengruppe verschieben oder Signal 9315 in Halt sein), weil der Zug auf das Einfahrsignal von Halle-Ammendorf zufährt, das das Zufahrtssicherungssignal für den reinen L2-Bereich (L2oS) ist. Das Zufahrtssicherungssignal kann in Richtung VDE 8 nur "Fahrt dunkel" zeigen, der Dunkelschaltanstoß kommt aber erst, wenn sich der Zug in Level 2 befindet.

Der Lokführer quittiert also den angekündigten Wechsel von PZB nach Level 2, passiert mit seinem Zug das Signal 9311 und rund 200 m dahinter sieht er, wie der Zug nach Level 2 wechselt und die Führungsgrößen aufgeblendet werden. Das Fahrzeug schickt aufgrund des Levelwechsels einen Position Report an das RBC. Dieser ist auf eine Balisengruppe bezogen, die kurz vor Signal 9311 liegt.

Hier ist Fahrzeug 1187064, ich bin 211 m -7 m/+7 m hinter Balisengruppe 075/00003. Ich bin in Nominalrichtung orientiert, fahre mit 130 km/h in Nominalrichtung und befinde mich in Level 2. mit .

Nun ist der Zug in Level 2. Es gibt also eine Mitteilung vom RBC an das Stellwerk:

Hier ist das RBC mit folgender Nachricht: Zug Nummer 1234 nähert sich in Level 2 dem Signal 94A, bitte dunkelschalten.

Das Stellwerk prüft nun die Bedingungen für die Dunkelschaltung des Signals und führt diese durch. Bei Bedarf wird dazu auch automatisch eine Fahrstraße eingestellt. An der Stelle wird für die Zuglenkung auch die Zugnummer (NID_OPERATIONAL) benötigt, die aus ETCS-Sicht sonst keine Bedeutung hat.

Hier ist das Stellwerk mit folgender Nachricht: Signal 94A zeigt "Fahrt dunkel".

Das RBC kann die Movement Authority des Zuges nun über Signal 94A hinaus verlängern. Ab hier steigt die zulässige Höchstgeschwindigkeit auch auf 160 km/h. Das nächste Signal ist der ETCS Stop Marker 69104, bis zu dem die MA (wieder ab Balisengruppe 075/00003) 5054 m lang ist.

Hier ist RBC 075/00001, ich habe eine Movement Authority für Dich, die auf Balisengruppe 075/00003 bezogen ist .

Der Stop Marker 69104 liegt bereits auf der Saale-Elster-Talbrücke und deckt die Zusammenführung der Zweige aus Halle und Leipzig.

Hier gibt es schon die nächste Besonderheit, da der Zweig Halle vom RBC in Halle kontrolliert wird, die VDE 8 aber ein eigenes RBC hat, das 078/00001. Die Führung unseres Zuges muss also von einem RBC an das andere übergeben werden. Der hierfür definierte Ort ist die Balisengruppe 078/00001 direkt an 69104.

In einer gewissen Entfernung des Zuges vor der Grenze meldet sich also das RBC Halle beim Strecken-RBC. Die Nachrichten, die zwischen zwei RBC ausgetauscht werden, sind ebenfalls durch UNISIG definiert, ich gehe aber nicht weiter auf sie ein.

Hier ist RBC 075/00001. Fahrzeug 1187064 nähert sich Balisengruppe 078/00001.

Das übergebende ("Handing Over" oder kurz HOV) RBC nennt seinem Nachbarn, dem annehmenden ("Accepting" oder ACC) RBC, auch die Daten des Zuges. Außerdem gibt es verschiedenste Parameter für die Streckendaten an. Diese werden genutzt, damit die Summe der Streckeninformationen von beiden RBC nicht das übersteigt, was als Movement Authority an das Fahrzeug gesendet werden kann.

Hier ist RBC 075/00001. Für die Übergabe an Balisengruppe 078/00001 darfst Du mir Streckendaten mit maximal folgender Länge, maximal folgender Zahl von Gradientenwecheln, maximal folgender Zahl von Geschwindigkeitswechseln ... senden.

Das ACC-RBC berechnet nun im Prinzip eine Movement Authority, nur dass diese nicht an das Fahrzeug, sondern an das HOV-RBC gesendet wird.

Hier ist RBC 078/09001. Ich habe folgende Streckendaten für die Übergabe an Balisengruppe 078/00001:

Das HOV-RBC verknüpft nun die Streckendaten vom ACC-RBC mit den eigenen Streckendaten und sendet die resultierende Movement Authority an unseren Zug. Dadurch kann der Zug ohne ausgebremst zu werden die RBC-Grenze passieren.

Hier ist RBC 075/00001, ich habe eine Movement Authority für Dich, die auf Balisengruppe 075/00003 bezogen ist .

Um eine reibungslose Übergabe zu ermöglichen, sollte unser Zug rechtzeitig vor der Grenze bereits eine Verbindung zum ACC-RBC aufgebaut haben. Er hat zwar eine Movement Authority bis in dieses hinein, kann also zunächst problemlos fahren. Würde er jedoch erst an der Grenze die Verbindung zum ACC-RBC aufbauen, so hätte er ab der Grenze praktisch einen Funkausfall. Das RBC könnte seine Movement Authority also unter Umständen nicht rechtzeitig verlängern, aber auch nicht verkürzen, falls das Stellwerk einen Überwachungsverlust meldet. Sicherungstechnisch ist das insofern unkritisch, als dass hier die gleichen Regeln wie bei einem normalen Verbindungsausfall gelten, d. h. nach einer bestimmten Zeit kommt es zur Sicherheitsreaktion (bei der DB Zwangsbetriebsbremsung). Ein Fahrzeug hat regulär aber zwei Telefone und das ETCS-Fahrzeuggerät kann damit auch gleichzeitig zwei Verbindungen halten. Es muss dies nur wissen, und darum meldet das HOV-RBC die Übergabe nun auch an das Fahrzeug:

Hier ist RBC 075/00001, ich habe hier eine allgemeine Nachricht , die auf Balisengruppe 075/00003 bezogen ist. Übergabe an RBC 078/00001 erfolgt voraus, bitte 0049183500000002 anrufen .

Der Zug wählt also die 0049183500000002 und erreicht das RBC VDE 8. Den weiteren Ablauf kennen wir bereits:

Hier ist Fahrzeug 1187064, ich möchte eine Kommunikationssitzung aufbauen. .
Hier ist RBC 078/00001, ich arbeite in Systemversion 1.1. .
Hier ist Fahrzeug 1187064, danke, Kommunikationssitzung ist aufgebaut. .

Nun "spricht" unser Fahrzeug also sowohl mit dem HOV-RBC Halle als auch dem ACC-RBC VDE 8. Der Lokführer sieht auf seinem Display entsprechend zwei aktive Funkverbindungen. Was nun kommt, ist wieder die gegenseitige Vorstellung:

Hier ist Fahrzeug 1187064, ich habe folgende Daten: mit .

Damit erzählt der Zug dem RBC nichts neues, denn diese Daten hat es bereits vollständig vom HOV-RBC bekommen. Nach dem "Stille-Post-Prinzip" gelten im Zweifelsfall die direkt empfangenen Daten.

Hier ist RBC 078/00001, danke, Zugdaten korrekt empfangen. .

Auch das ACC-RBC hat bestimmte Daten, die es an den Zug überträgt. In unserem Fall sind es die gleichen wie im HOV-RBC:

Hier ist RBC 078/00001, ich habe hier eine allgemeine Nachricht . In meinem Bereich gelten folgende Parameter zum Anfordern einer Movement Authority : In meinem Bereich gelten folgende Parameter zum Senden von Position Reports :

Das ACC-RBC kann seine Movement Authority nun direkt an den Zug senden. Dieser würde sie aber dankend in den Speicher schreiben, da er ja noch unter der Verantwortung des HOV-RBC fährt. Die Daten vom ACC-RBC gehen also weiterhin auch an das HOV-RBC. Dieses wird ab und zu die zulässigen Daten aktualisieren, wenn durch die Zugbewegung Einschränkungen weniger restriktiv werden, und das ACC-RBC wird entsprechend neue Daten schicken. Es kann dies bei Bedarf auch von sich aus tun, z. B. wenn ein Signal in Fahrt kommt oder in Halt fällt.

Das Fahrzeug schickt unterdessen alle Nachrichten an beide RBC. Irgendwann passiert unser Zug die RBC-Grenze und sendet dies in einem Position Report an beide RBC.

Hier ist Fahrzeug 1187064, ich bin 8 m -5 m/+5 m hinter Balisengruppe 078/00001. Ich bin in Nominalrichtung orientiert, fahre mit 160 km/h in Nominalrichtung und befinde mich in Level 2. mit .

Aus diesem Position Report schließt das HOV-RBC, dass unser Zug die Grenze passiert hat und meldet dies an das ACC-RBC.

Hier ist RBC 075/00001. Bei der Übergabe an Balisengruppe 078/00001 hat der Zug die Grenze passiert und ist in Deinen Bereich eingefahren.

Das ACC-RBC erkennt parallel dazu ebenfalls, dass der Zug die Grenze passiert hat, und meldet dies an das HOV-RBC. Beides läuft praktisch gleichzeitig, welche Message schneller ist, ist rein zufällig.

Hier ist RBC 078/00001. Bei der Übergabe an Balisengruppe 078/00001 hat der Zug die Grenze passiert, ich übernehme nun die Verantwortung.

Da unser Zug nun mit einer Ausnahme keine Nachrichten vom HOV-RBC mehr akzeptiert, kommandiert dieses ihm den Abbau der Kommunikationssitzung (dieses ist die Ausnahme). Der eigentliche Abbau kann nur durch das Fahrzeug angestoßen werden.

Hier ist RBC 075/00001, mit einer allgemeinen Nachricht. Bitte Kommunikationssitzung abbauen. ).
Hier ist Fahrzeug 1187064, ich baue jetzt die Kommunikationssitzung ab..
Hier ist RBC 075/00001, bestätige Abbau der Kommunikationssitzung..

Mit Empfang dieser Nachricht legt das Fahrzeug auf, schließt also die Funkverbindung zum HOV-RBC.

Sobald unser Zug die Weiche 69W41 passiert, also auf der eigentlichen VDE 8 (Strecke 5919) ist, ändert sich die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 300 km/h. Das Fahrzeuggerät überwacht die bis hier geltenden 160 km/h noch mit dem Zugschluss und gibt dann die Beschleunigung frei.

Im weiteren Verlauf passiert unser Zug die Überholungsbahnhöfe Dörstewitz, Jüdendorf, Saubachtal und Großbrembach, vermutlich mit 230 km/h (die Zugdaten weisen ihn als ICE T BR 411 mit B2- aus). Anschließend erfolgt wiederum die Übergabe zu einem anderen RBC, nämlich dem RBC Erfurt 078/00002.

Ab Erfurt geht es über die VDE 8.1 weiter. Dazu wechselt der Zug wieder zurück in das RBC VDE 8 (!), durchfährt den Südteil und wechselt dort schließlich in das RBC Unterleiterbach 101/00001. Dort endet derzeit die Ausstattung mit ETCS.

Die Entlassung aus ETCS-Führung erfolgt grob gesehen so:

Hier ist RBC 101/00001, ich habe hier eine allgemeine Nachricht mit . Führe in n Metern eine Transition nach Level NTC "PZB/LZB Classic and LZB CE" aus, lasse Deinen Triebfahrzeugführer m Meter vorher quittieren. Rückfallebene ist Level NTC "Indusi".

Im Detail betrachtet ist das Verfahren um einiges komplizierter. Bei der Einfahrt in die Strecke L2oS muss sicher sein, dass das Fahrzeug sich in Level 2 befindet, bei der Entlassung muss sicher sein, dass die PZB-Fahrzeugeinrichtung bereits beim Passieren des Hauptsignals aktiv ist. Da das RBC dies nicht direkt erkennen kann, erfolgt die Entlassung in einer mehrstufigen Prozedur. Es gibt zudem besondere Maßnahmen für den Fall, dass die PZB nicht funktioniert.

Wir sind nun also von Halle nach Unterleiterbach gefahren, und zwar spätestens ab Einfahrsignal Halle-Ammendorf in ETCS Level 2, den größten Teil davon ohne Lichtsignale, haben Geschwindigkeiten bis zu 300 km/h (oder mit unserem ICE T 230 km/h) erreicht und dabei viermal in voller Fahrt das RBC gewechselt (allerdings liegen nicht alle RBC-Grenzen an Stellen, an denen 300 km/h erlaubt sind). Ebenso erfolgten sowohl die Aufnahme nach Level 2 als auch die Entlassung zurück nach PZB während der Fahrt.

Rundweg
Rundweg (Frequent Assumption Errors)

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